Stellungnahme der DVJJ, Regionalgruppe Südbayern, zum Entwurf des BayJAVollzG
Vorbemerkung
Die Entscheidung der Staatsregierung, den Jugendarrestvollzug auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen, wird ausdrücklich begrüßt. Gleiches gilt für die in Art 2 erfolgte Festlegung auf das alleinige Vollzugsziel der Resozialisierung und eine „erzieherische Vollzugsgestaltung“, die dem Jugendarrestvollzug den Charakter einer Strafe nehmen soll. Allerdings wird diese Zielsetzung durch die zahlreichen Verweise auf Vorschriften des BayStVollzG konterkariert. Diese beeinträchtigen nicht nur die Verständlichkeit des Entwurfs, sondern führen dazu, dass der Vollzug des Jugendarrests in eine problematische Nähe zum Jugendstrafvollzug gerät und die Grenzen zwischen beiden Formen des Freiheitsentzugs verschwimmen.
Zu den einzelnen Bestimmungen Art. 3
Bedenken begegnen auch die Leitlinien zur erzieherischen Vollzugsgestaltung, soweit sie Erwartungen an den Vollzug wecken, die sich mit der derzeitigen Vollzugsrealität schwer in Deckung bringen lassen. In der Begründung des Gesetzentwurfs ist selbst davon die Rede, dass während des Arrestvollzugs aufgrund seiner Kürze „nur punktuell auf die Jugendlichen eingewirkt werden kann“ und Erziehung hier deshalb im Wesentlichen nur in der Vermittlung von Denkanstößen zur Förderung einer eigenverantwortlichen Lebensgestaltung bestehen kann. Dies sollte nicht erst in der Gesetzesbegründung, sondern bereits im Gesetzestext selbst durch eine entsprechende Wortwahl zum Ausdruck kommen.
Eine erzieherische Gestaltung des Vollzugs durch Einzel- und Gruppengespräche erfordert zudem, wenn sie eine Chance auf Wirksamkeit haben soll, eine personelle Mehrausstattung vor allem bei den Vollzugs- und Sozialdiensten der Anstalten. Dies gilt umso mehr, wenn man die in der Begründung des Entwurfs formulierten Grundprinzipien erzieherischen Handelns, insbes. das Erfordernis einer von Wertschätzung und menschlicher Zuwendung geprägten und auf positive Anregungen sowie Vorbildwirkung setzenden Beziehungsarbeit ernst nimmt. Eine solche Beziehungsarbeit ist ohne entsprechende Zeit- und Personalressource nicht möglich, eine Einsicht, die in der Kostenprognose unter Punkt D 1. Abs. 2 zwar anklingt, jedoch nicht in der erforderlichen Deutlichkeit.
Auch die in der Entwurfsbegründung aufgeführten Beispiele für einzel- und gruppenpädagogische Maßnahmen zur Vermittlung persönlicher und sozialer Ressourcen verdeutlichen den Personalbedarf, der bereits aktuell nur über eine Einbindung von externen, zumeist ehrenamtlichen Kräften überdeckt werden kann. Dabei ist ein wichtiger Kompetenzbereich in dem Gesetzentwurf noch gar nicht erwähnt, für den ein dringender Bedarf an geeigneten Schulungs- angeboten besteht, nämlich der Bereich der Medienkompetenzen. Dieser sollte im Beispielskatalog ergänzt werden.
Unbestreitbar wichtig ist die Heranführung der Jugendlichen an einen geregelten Tagesablauf. Unter den strukturellen Rahmenbedingungen des Vollzugs ist dieses Ziel aber allenfalls in der Form einer Gewöhnung der Jugendlichen an einen Vollzugsalltag leistbar, der fern ab von der tatsächlichen Lebensrealität der Betroffenen liegt. Statt von „Tagesablauf“ sollte deshalb besser von „täglichem Vollzugsablauf“ oder „Vollzugsalltag“ gesprochen werden. Eine möglichst weitgehende Annäherung desselben an geregelte Tagesabläufe außerhalb des Vollzugs ist zwar erstrebenswert, scheitert aber in der Praxis mancherorts bereits an Einschlusszeiten, die um 15.30 Uhr beginnen. Auch hier zeigt sich wieder der Bedarf an zusätzlichen personellen Ressourcen bei den Vollzugs- und Sozialdiensten, wenn die anspruchsvollen Zielsetzungen des Entwurfs Wirklichkeit werden sollen. Auf die entsprechenden Ausführungen zum Personalbedarf in der Stellungnahme der Regionalgruppe Nord der DVJJ wird ergänzend Bezug genommen.
Geteilt werden auch die dort geltend gemachten Bedenken gegen die vorgesehene entsprechende Anwendung des geplanten neuen Art. 5a BayStVollzG. Die Entwicklung von Opferempathie war schon immer ein zentraler Bestandteil der Arbeit mit Tätern. Die darüber hinausgehende Anwendung des geplanten Art. 5a BayStVollzG verspricht hier keinen Gewinn, sondern birgt die Gefahr eines Einzugs von resozialisierungsfeindlichen Elementen in den Vollzug, wenn dem nicht durch entsprechende Klarstellungen im Gesetz entgegengewirkt wird.
Art. 6
Da sich die Zuständigkeit der Jugendhilfe im Strafverfahren auf die Gruppe der Heranwachsenden bezieht, ist sie auch für diese Personengruppe zwingend über eine Aufnahme zu unterrichten.
Art. 7
Soweit der Entwurf für einen Dauerarrest künftig die schriftliche Niederlegung eines Erziehungsplans verlangt, gehen begriffliche Klarheiten verloren. Erziehungsplanung ist ein feststehender Begriff der Erziehungshilfe im Jugendhilfeverfahren und beinhaltet naturgemäß einen längerfristigen Prozess. Insofern ist die Verwendung des Begriffs für die Ausgestaltung eines Arrestvollzugs irreführend. Für den Arrest geht es bzw. kann es aus oben genannten Gründen nur um die Erfassung von Problemlagen, die Bestimmung eines inhaltlichen und individuellen Förderbedarfs sowie einer daran orientierten erzieherischen Ablaufgestaltung in begrenzter Zeit gehen. Dem ist auch terminologisch durch die Anpassung der verwendeten Begrifflichkeiten und die Ersetzung des Begriffs „Erziehungsplan“ durch den des „Ablauf- und Förderplans“ zu entsprechen. Im Übrigen gilt auch hier wieder, dass die Umsetzung der geplanten Vorgaben Ressourcen bindet und eine hinreichende Personalausstattung erfordert. Auf die entsprechenden Ausführungen zu Art. 3 des Entwurfs wird verwiesen.
Art. 8 und 10
Die in manchen Anstalten aktuell praktizierten ausgedehnten Ruhezeiten (unter der Woche ab 15.30 Uhr) lassen mit Blick auf das in Art. 3 genannte Ziel einer Heranführung der Jugendlichen an einen geregelten Tagesablauf eine gesetzliche Begrenzung der Ruhezeiten auf den Zeitraum von maximal 10 Stunden erforderlich erscheinen. Hinsichtlich des Mehrbedarfs an Personal, der durch eine solche Begrenzung entsteht, wird erneut auf die Ausführungen zu Art. 3 Bezug genommen. Im Übrigen werden die Bedenken der Regionalgruppe Nord gegen die Regelungen zur Unterbringung in Art. 8 geteilt.
Art. 14
Unter dem Aspekt der Gesundheitsfürsorge ist Nichtrauchen unstrittig sinnvoll und wichtig. Das strikte Nichtrauchergebot führt jedoch zu der Frage, inwieweit Heranwachsenden bzw. jungen Erwachsenen das Rauchen rechtmäßig verboten werden kann. Süchtige Raucher benötigen Hilfestellungen seitens der Anstalt in der zwangsweisen Entwöhnungsphase, etwa in Gestalt eines Raucherentwöhnungsprogramm. Das im dem Entwurf vorgesehene weitergehende Rauchverbot für Heranwachsende stellt jedoch einen verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigenden Eingriff in das Grundrecht auf freie Persönlichkeitsentfaltung (Art. 2 Abs. 1 GG) der Betroffenen dar. Eine Schlechterstellung gegenüber Vollzugsbediensteten, denen das Rauchen gestattet ist, erscheint zudem auch unter pädagogischen Gesichtspunkten fragwürdig.
Art. 16
Empfohlen wird die Ergänzung des Begriffs der kulturellen Betätigung durch den der Bildung, der die sehr zu begrüßende Aufnahme einer Verpflichtung der Anstalten zur Bereitstellung einer angemessen ausgestalteten Bibliothek mit abdeckt. Aufgenommen werden sollte in die Gesetzesbegründung noch der Hinweis, dass die Angebote zur kulturellen Betätigung kulturspezifische Besonderheiten der Klientel berücksichtigen sollten.
Art. 19
In der Praxis wurde der Begriff der Jugendgerichtshilfe durch den der Jugendhilfe im oder in Strafverfahren“ abgelöst. Dem ist durch eine entsprechende Anpassung der Begriffe „Gerichts- und Jugendgerichtshilfe“ in Abs. 3 Ziff. 4 Rechnung zu tragen.
Der Vorrang des Erziehungsgedankens im Verbund mit Art. 6 Abs. 2 GG (Schutz des Elternrechts) verlangt die grundsätzliche Einbeziehung von sorgeberechtigten Eltern in den Kreis der nach Abs. 3 besuchsberechtigten Personen während eines Dauerarrests. Der als solcher zutreffende Hinweis auf die Existenz dysfunktionaler Familien in der Entwurfsbegründung rechtfertigt nicht per se den Ausschluss von Eltern und den Verzicht auf Elternarbeit. Ein solcher Ausschluss ist deshalb nur gerechtfertigt, soweit im Einzelfall erhebliche erzieherische Nachteile durch den Besuch drohen.
Art. 23
Erziehung umfasst mehr als erzieherische Gespräche und die bislang in Abs. 2 Ziff. 1-4 vor- gesehenen Sanktionen bei Fehlverhalten im Arrest. Es wird deshalb empfohlen, in Abs. 2 Ziff. 1 nach „Weisungen und Auflagen“ zu ergänzen: „insbesondere die Weisung, sich zu bemühen, einen Ausgleich mit dem Opfer zu erreichen (Täter-Opfer-Ausgleich)“. Die Verankerung des Täter-Opfer-Ausgleichs als Mittel der erzieherischen Einwirkung dient vorrangig dem Opferschutzgedanken und erweitert die Interventionspalette in einer der Zielsetzung des Arrestvollzugs gemäßen Weise.
Art. 24 und 25
Die Anforderungen an die Entlassungsvorbereitung und den Schlussbericht sowie seine Erörterung im Rahmen eines ausführlichen Erziehungsgesprächs sind sachlich angemessen, binden allerdings in erheblichem Umfang Personalressourcen. Dem ist bei der Kostenprognose für den Personalbedarf Rechnung zu tragen. Im Übrigen schließt sich die Regionalgruppe hier den Ausführungen in der Stellungnahme der Regionalgruppe Nordbayern zur Bedeutung der nachsorgenden Betreuung an.
Art. 29
Das ganze Gesetz kann nur mit Leben erfüllt werden, wenn genügend Stellen geschaffen werden. In Art. 29 des Entwurfs ist zwar etwas über die Qualifikation der Bediensteten zu lesen, aber nichts über die Anzahl, die notwendig ist, um das Vollzugsziel zu erreichen. Wünschenswert wäre in diesem Zusammenhang auch die Erwähnung der verschiedenen Berufsgruppen, die an dem Vollzugsziel mitarbeiten.
Art. 36
Es wird empfohlen, eine Regelung über die Möglichkeit zur Anregung von Abänderungen oder einer Aufhebung von Weisungen oder Auflagen zu ergänzen, falls die Überprüfung der Nichterfüllungsgründe Hinweise darauf ergibt, dass dies dem Erziehungsziel besser dient.